Rahulla Torabi, 59, ist verheiratet und hat eine Tochter. Er kam nach Deutschland, als er sechzehn Jahre alt war. Nach seinem Schulabschluss machte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker. Später zog Rahulla aufgrund seines Interesses an Kunstwerken, er kam nach Frankfurt, um Kunst zu studieren. „Ich tue sehr viel für mein eigenes Leben. Ich übe sehr unterschiedliche Tätigkeiten aus. Ich nehme mir viel Zeit und Raum, um mich persönlich zu entwickeln. Alles, was ich tue, hat immer einen Bezug zum Leben und der damit verbundenen Liebe. Ich nutze die Kraft der Kreativität, also der Kunst“, sagt er. Rahulla ist künstlerischer Leiter einer Bildhauerwerkstatt für junge Menschen in Frankfurt und hat ein eigenes Kunstatelier.
Je älter Rahulla wird, desto mehr ist er davon überzeugt, dass die Menschen in Afghanistan ein hohes Maß an Kreativität besitzen. „Wir sehen das an ihrer Art zu leben, sich auszudrücken und Dinge zu schaffen. Ich habe einen Dichter getroffen, der nicht schreiben konnte. Ich habe einen Zeichner getroffen, der fast blind war.“ Für ihn persönlich waren die ersten sechzehn Jahre in Afghanistan besonders prägend. „Ich sah Landschaften, hörte Geräusche und lauschte Sprachen. Ich habe Dinge gerochen, die ich nie wieder riechen würde.“ Rahulla sucht nach neuen Dingen, mit denen er seine Kunst und Kreativität ausdrücken kann. „Das kann ein Foto, eine Zeichnung, ein Gemälde, ein Video oder der Aufbau verschiedener Objekte zu einer Skulptur sein.“
Seine erfolgreiche Integration in Deutschland führt Rahulla auf das Organisationstalent seiner Mutter zurück. „Für mich persönlich ist die Rolle meiner Mutter ein Beispiel für Stärke, Kreativität und Durchsetzungsvermögen. Meine Mutter ist ein Beispiel für viele Mütter und Frauen aus Afghanistan, die für ein besseres Leben für ihre Kinder kämpfen. Diese Stärke ist für mich auch heute noch sehr inspirierend. Ich nutze sie im Alltag und sie ist ein sehr großer Baustein für mich, zusammen mit meiner persönlichen Erinnerung an das Land, Afghanistan und meine Mutter.“ Er hat schnell gelernt, die deutsche Kultur und die Werte vor Ort zu verstehen, und das hat ihm geholfen, größere Probleme zu vermeiden. „Die Wahrheit ist, dass es keine Probleme ohne Lösungen gibt und umgekehrt“, sagt er. Neben der Schaffung von Kunstwerken unterstützt Rahullah seine Landsleute hier in Deutschland, indem er ihnen beim Übersetzen und Dolmetschen hilft. „Ich drücke die Gefühle und Emotionen aus, die sie im Herzen tragen, aber in der für sie fremden Sprache Deutsch nicht ausdrücken können. Die unzähligen persönlichen Erfahrungen, die ich hier in Deutschland durch meine Arbeit und meine Begegnungen mit der Gesellschaft gesammelt habe, gehören nun meinen Landsleuten.“
Er ist der Meinung, dass jede Person, die in einem fremden Land ankommt, umfangreiche Unterstützung benötigt. „Die neue Welle von Afghanen, die in Deutschland ankommt, hat einen anderen Hintergrund als wir. Die neuen Flüchtlinge, die aus Afghanistan kommen, haben 40 Jahre lang eine andere physische und psychische Erfahrung gemacht als ich hier in Europa. Auch sie brauchen Hilfe und Unterstützung. Derzeit dreht sich in Deutschland alles um Hilfe und Unterstützung in den Bereichen Zeit, Wohnen und Finanzen. Das systemische Versagen im Umgang mit Flüchtlingen ist eine Konstante in Deutschland, seit ich hier lebe. Ebenso wie die Art und Weise, wie die Gesellschaft mit dem Thema Flüchtlinge umgeht, abhängig von der sozialpolitischen Kommunikation mit der Gesellschaft. Hier greift das Unterstützungssystem zu kurz. Auch die Erwartungen der Menschen entwickeln sich weiter.“
Rahulla glaubt, dass die derzeitige Situation in Afghanistan nicht von Dauer ist. „Afghanistan war schon immer ein Spielball verschiedener Interessen, ist es im Moment und wird es auch in Zukunft bleiben. Was wir Afghanen in der Diaspora tun können und müssen, ist Afghanistan hier und jetzt so zu gestalten, dass es nicht so schnell wieder zum Spielball von Ideologien, Politik oder anderen Interessen wird“, sagt er und fährt fort: “Afghanistan hat das große Glück, ein so schönes Land zu sein. Aber gleichzeitig hat Afghanistan auch das große Pech, von solchen Nachbarn umgeben zu sein.“
Rahulla erinnert sich an den Klang der Sprache der Menschen und an die vi elen Bräuche aus seiner Zeit in Afghanistan. Er erinnert sich auch daran, wie Honigmelonen über den Salang-Pass nach Kabul transportiert wurden. „In meiner Kultur und Sprache gibt es ein Sprichwort: ‘Das Leben ist fünf Tage lang’. Es bedeutet, dass man jeden Morgen, wenn man aufwacht, feste Pläne für die nächsten fünf Tage machen und fest daran glauben sollte, dass alles gut gehen wird. Über alles andere mache ich mir keine Sorgen.“ In Deutschland „bin ich ein Vater, ein Künstler und jemand, der arbeitet, Steuern zahlt und all seinen Verpflichtungen nachkommt, wie fast jeder andere auch“, sagt Rahulla.
Rahulla liebt es zu arbeiten, auch an anderen Dingen neben seinem Job. Aber er genießt auch die Zeit, in der er nicht arbeitet. „Ich trinke lieber Tee und verbringe Zeit mit meiner Familie und im Studio. Ich interessiere mich für alte schwedische Autos. Ich habe zwei oder drei davon. Das gibt mir die Möglichkeit, körperlich aktiv zu sein und gleichzeitig Tee zu trinken.
„Das Leben ist hier und jetzt. Wir haben uns verändert. Wir sind älter geworden. Dinge, die früher einfach schienen, sind heute eine große Herausforderung. Ich finde es schade, dass viele Menschen sofort auf die Uhr schauen, wenn man sie bittet, am späten Nachmittag eine Tasse Tee mit ihnen zu trinken.“

