Ein humanitärer Aufruf, der nicht ignoriert werden sollte

Tamana

Tamana Maihanwerd, 30, hat einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft. Sie arbeitete im Verwaltungsbüro des ehemaligen afghanischen Präsidenten, wo sie als Office Managerin und Buchhalterin in den Wirtschaftsbereichen tätig war. Vor ihrer Evakuierung nach Deutschland war ihr Leben sehr erfüllend: “Nach 18 Jahren engagierten Studiums habe ich endlich meine Ausbildungsziele erreicht und konnte in dem Beruf arbeiten, von dem ich immer geträumt hatte. Ich war von unterstützenden Kollegen und engen Freunden umgeben und hatte das Gefühl, das beste Kapitel meines Lebens zu erleben.”

Alles hinter sich zu lassen, war für Tamana sehr schmerzhaft. Da ihre Sicherheit zunehmend bedroht war, hatte sie keine andere Wahl, als ihren Job, ihre Freunde und ihre Kindheitserinnerungen zu verlassen – im Grunde ihre ganze Welt in Afghanistan. “Es fühlte sich an, als würde ich von allem weggerissen, was mich so lange geprägt hatte.

Als sie im Jahr 2019 in Deutschland ankam, hatte sie den Eindruck, dass sie bei Null anfing. “Alles – von der Sprache über die Kultur bis hin zu den Menschen und der Umgebung – war neu. Ich weiß noch, wie ich da stand und die Leute anstarrte und mich in diesem Moment völlig verloren fühlte.” Es war eine emotionale und schwierige Reise für Tamara, die Liebeskummer und Heimweh hatte. „Ich wusste, dass ich mir neue Ziele setzen musste“, sagt sie.

Während ihres Asylverfahrens durfte sie keinen offiziellen Deutschunterricht besuchen, also begann sie, die Sprache auf eigene Faust zu lernen. Später nahm sie an zertifizierten Deutschkursen (B1, B2 und C1) teil und absolvierte eine 15-monatige Weiterbildung im Bereich Human Resource Management. Kurz nach ihrem Abschluss erhielt sie eine Stelle als Büroleiterin und Buchhalterin in einer Beratungsfirma, die Flüchtlinge bei der Arbeitssuche unterstützt. “Das war ein Wendepunkt in meinem neuen Leben. Ich bin jetzt Teil eines dynamischen, multikulturellen und professionellen Teams. Ich fühle mich erfüllt und glücklich in meiner Arbeit und bin dankbar für den Weg, den ich mir in Deutschland aufgebaut habe.”

Tamana zufolge verfügen viele Flüchtlinge in Deutschland über einen guten Bildungshintergrund und wertvolle Berufserfahrung aus ihren Heimatländern, bleiben aber aufgrund restriktiver Maßnahmen und fehlender Möglichkeiten arbeitslos. “Ich glaube, dass die Integration viel effektiver wäre, wenn man den Flüchtlingen nach ihrer Ankunft Jobvorschläge oder eine auf ihre Fähigkeiten zugeschnittene Vermittlung anbieten würde. Dies würde es ihnen ermöglichen, durch tägliche Interaktion die Sprache zu lernen, ein Einkommen zu erzielen und durch die Zahlung von Steuern einen Beitrag zu leisten.” Im Gegensatz dazu schlägt sie vor: “Der bloße Besuch von Deutschkursen – in denen die Lehrer oft die Konversation dominieren und die Schüler nur wenig Gelegenheit zum Sprechen haben – unterstützt das effektive Erlernen der Sprache nicht, vor allem nicht für Flüchtlinge über 40. Gerade für diese Gruppe würde es den Spracherwerb und die Integration in die Gesellschaft erheblich beschleunigen, wenn sie in einem realen Umfeld untergebracht wären, in dem sie sich mit anderen austauschen können.”

Obwohl sie vom ersten Tag ihrer Ankunft in Deutschland an in der Lage war, sich auf Englisch zu verständigen, hat ihr das Erlernen der deutschen Sprache wirklich geholfen, sich zu integrieren und sich in der deutschen Gemeinschaft besser aufgehoben zu fühlen. “In den letzten sechs Jahren, in denen ich in Berlin gelebt habe, habe ich aktiv an Bibliotheken, Sprachcafés, Veranstaltungen, Workshops und verschiedenen Programmen teilgenommen. Durch diese Erfahrungen habe ich ein starkes Netzwerk von multinationalen Freunden aufgebaut. Das ist eines der Dinge, die ich an Berlin am meisten liebe – die lebendige Vielfalt und der multikulturelle Geist.”

Was Tamana in Deutschland am meisten genießt, ist die Freiheit – die Freiheit zu studieren, zu arbeiten, an der Gesellschaft teilzuhaben und eigene Entscheidungen zu treffen. “Dies sind grundlegende Rechte, die in einem erschütternden Kontrast zur Situation der Frauen in Afghanistan stehen, wo viele zum Schweigen gebracht und von grundlegenden Freiheiten ausgeschlossen werden. Mein Herz schmerzt für die afghanischen Frauen, und ich hoffe weiterhin auf ein freies und gerechtes Afghanistan”.

Dank ihrer Entschlossenheit konnte sie ihre Karriere in einem neuen Land fortsetzen. “Ich war entschlossen, meine Zukunft nicht von den Umständen bestimmen zu lassen. Klare Ziele zu setzen und beharrlich zu sein, war der Schlüssel. Die Sprache zu lernen, neue Qualifikationen zu erwerben und mich auf mein persönliches und berufliches Wachstum zu konzentrieren, hat mir geholfen, dorthin zu gelangen, wo ich heute bin.”

Tamana appelliert an alle Länder der Welt:

“Bitte, lassen Sie Afghanistan nicht zurück. Vergessen Sie die afghanischen Frauen nicht. Hören Sie auf, die Taliban anzuerkennen oder mit ihnen Geschäfte zu machen. Afghanistan braucht Ihre Unterstützung – dringend. Schaffen Sie Programme und stellen Sie Bildungsvisa für afghanische Frauen aus. Beenden Sie alle Formen der Diskriminierung von Flüchtlingen. Halten Sie die Türen der Zuflucht offen und nehmen Sie mehr afghanische Flüchtlinge auf. Dies ist ein humanitärer Aufruf, der nicht ignoriert werden darf.”

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