Die Welt braucht keine weitere Spaltung, sondern Verständnis

Mursal

Mursal Kakar wuchs in Kabul auf, der Hauptstadt eines Landes, das sie als „von tiefer Schönheit und tiefer Not geprägt“ beschreibt. Sie ist eines von acht Geschwistern, mit vier Schwestern und drei Brüdern. Ihre Eltern vermittelten ihren Kindern Werte wie Stärke, Bildung, Dienst am Nächsten und Gleichberechtigung – insbesondere für Mädchen. Mursal hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft und absolviert derzeit einen Master-Studiengang in Diplomatie an der Europäischen Akademie für Diplomatie in Polen. „Während meines Studiums entwickelte ich ein starkes Interesse an Politik, Regierungsführung und Führung, da ich auf jeden Weg vorbereitet und bereit sein wollte, mich jeder Herausforderung zu stellen“, sagt sie.

Mursal entschied sich für ein Diplomatiestudium, weil sie fest an die Kraft des Dialogs, des Brückenbaus und der internationalen Zusammenarbeit glaubt. „Dieses Programm ist nicht nur ein akademisches Unterfangen – es spiegelt mein Engagement für globale Regierungsführung, die Rechte von Flüchtlingen und den Wiederaufbau nach Konflikten wider“, erklärt sie. „Ich möchte lernen, wie man mit Weisheit führt, mit Empathie verhandelt und zur Gestaltung von Politik beiträgt, die benachteiligte Gemeinschaften stärken – insbesondere solche, aus denen ich selbst stamme.“

Mursals Weg in die Diplomatie begann nicht erst mit ihrem aktuellen Studium. Zuvor nahm sie am Jugendführungsprogramm des Afghan Women’s Network teil – eine Erfahrung, die sie als transformativ beschreibt. „Die Initiative war sehr inspirierend. Es war mehr als nur eine Schulung, es war eine Bewegung“, erinnert sie sich. „Wir haben nicht nur über die Führungsrolle von Frauen gesprochen, sondern auch Fähigkeiten aufgebaut, Richtlinien entworfen und Räume für Frauen im zivilen und politischen Leben geschaffen. Durch das Verfassen von Richtlinien, Workshops zum Thema Interessenvertretung und Mentoring habe ich miterlebt, wie afghanische Frauen sich behaupten und andere dabei unterstützen konnten.“

Eine weitere prägende Erfahrung für Mursal war die Teilnahme am Online-Programm „Peaceful Mind in Working Area“ des Instituts der Vereinten Nationen für Ausbildung und Forschung in Washington, DC. „Ich habe gelernt, wie man unter Druck gelassen bleibt, achtsam führt und Konflikte in stressigen Umgebungen bewältigt”, erzählt sie. „Diese Lektionen prägen weiterhin meine Art zu unterrichten, zu führen und mich zu engagieren – sei es im Klassenzimmer, in Ministerien oder in humanitären Einrichtungen. Sie haben meinen Führungsstil verfeinert und mir Werkzeuge an die Hand gegeben, die ich überallhin mitnehme.”

Als Mursal 2021 nach Deutschland zog, war sie gerade einmal 26 Jahre alt. Auf der Suche nach Sicherheit und einem Neuanfang brachte sie wertvolle internationale Erfahrungen aus Neu-Delhi mit, wo sie als Bildungs- und Kulturreferentin an der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan tätig war. „Meine Arbeit umfasste die Unterstützung afghanischer Studenten, die Förderung des kulturellen Austauschs und die Koordination mit indischen akademischen Einrichtungen“, erklärt sie. „Es war eine beeindruckende Erfahrung in der sanften Diplomatie, bei der Bildung und Kultur zu Instrumenten wurden, um Verständnis zu fördern und unsere Diaspora zu unterstützen.“

Die Entscheidung, Afghanistan zu verlassen, fiel Mursal nicht leicht – es war ein notwendiger Schritt als Reaktion auf die sich verändernden politischen Realitäten. „Nach Jahren der akademischen und beruflichen Arbeit in Afghanistan und Indien bot Deutschland Stabilität und die Möglichkeit, mich sowohl persönlich als auch beruflich weiterzuentwickeln“, reflektiert sie. „Der Neuanfang war nicht einfach, aber es war eine Entscheidung, die auf Mut und Hoffnung beruhte.“

Neben ihrem Studium und ihren Reisen unterstützt Mursal weiterhin die afghanische Gemeinschaft durch ihre Tätigkeit als Sprachwissenschaftlerin

 für Dari und Paschtu. „Ich arbeite direkt mit Vertriebenen, insbesondere afghanischen Flüchtlingen, zusammen und erleichtere die Kommunikation in medizinischen und rechtlichen Bereichen“, erklärt sie. „Übersetzen ist mehr als nur Sprache – es geht um Vertrauen, Verständnis und die Wiederherstellung von Würde.“ In dieser Funktion hilft sie, die Kluft zwischen Hilfsorganisationen und Flüchtlingen zu überbrücken, indem sie dafür sorgt, dass wichtige Informationen klar und einfühlsam vermittelt werden. „In diesen Momenten sehe ich mich sowohl als Vermittlerin als auch als Fürsprecherin.“

Laut Mursal stehen afghanische Flüchtlinge in Deutschland beim Wiederaufbau ihres Lebens sowohl vor wertvollen Chancen als auch vor erheblichen Herausforderungen. „Das Land bietet zwar Sicherheit und ein strukturiertes Umfeld, doch die Integration kann durch Sprachbarrieren, psychische Probleme und komplexe Verwaltungsprozesse behindert werden“, stellt sie fest. „Um eine sinnvolle und dauerhafte Integration zu gewährleisten, ist es unerlässlich, umfassende Unterstützungssysteme zu entwickeln – darunter Sprachunterricht, Zugang zu hochwertiger Bildung, Wege in die Beschäftigung und integrative Einbindung in die Gemeinschaft.“

Mursal betont, dass Integration keine einseitige Anstrengung ist, sondern gegenseitiges Verständnis, Offenheit und langfristiges Engagement erfordert. „Afghanische Flüchtlinge sollten nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Schutzbedürftigkeit betrachtet werden“, sagt sie. „Sie müssen für ihre Widerstandsfähigkeit, ihre Talente und ihr Potenzial einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, anerkannt werden.“

Das Leben in den vielfältigen Gemeinschaften Deutschlands war für Mursal eine bereichernde Erfahrung. „Ich habe Herzlichkeit und Unterstützung erfahren“, sagt sie, „aber auch Momente des Missverständnisses und kultureller Reibungen.“ Sie schätzt die Struktur Deutschlands, seinen Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit und sein Bekenntnis zum Multikulturalismus. Gleichzeitig teilt sie ihre afghanische Identität aktiv mit ihren Mitmenschen und bemüht sich, Verbindungen aufzubauen, wo Unterschiede sonst zu Distanz führen könnten. „Es geht darum, einen Dialog zu schaffen, nicht um Spaltung“, fügt sie hinzu.

Das Leben war für Mursal in letzter Zeit sehr erfüllt und erfüllend, da sie ihr Masterstudium mit ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrem fortwährenden Engagement für die Unterstützung von Flüchtlingen und die Verteidigung der Frauenrechte in Einklang bringt. „Dies ist eine Phase des Übergangs – neue Netzwerke aufbauen, sich in einem neuen Land einleben und weiterhin helfen“, reflektiert sie. „Sowohl persönlich als auch beruflich wachse ich, lerne ich und komme meinem Ziel immer näher.“ Nach Abschluss ihres Studiums möchte Mursal bei internationalen Organisationen arbeiten, die sich mit Flüchtlingspolitik, Frauenförderung und Entwicklung nach Konflikten befassen.

Für neu angekommene Afghanen sagt sie: „Deine Vergangenheit bestimmt nicht deine Zukunft. Du hast Kraft, Wissen und Wert. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden.“ Sie fügt hinzu: „Investiere in Frieden. Stärke Frauen. Respektiere Flüchtlinge. Schätze Bildung. Die Welt braucht keine weitere Spaltung, sondern Verständnis, und das beginnt damit, wie wir jeden Tag miteinander umgehen.“

Wenn sie etwas aus ihrer Reise gelernt hat, dann, dass keine Geschichte jemals zu Ende ist. „Ich schreibe meine Geschichte immer noch weiter, mit jeder Unterrichtsstunde, jedem Schüler, den ich betreue, und für jeden Flüchtling, für den ich übersetze. Ich gehe zielstrebig voran und trage Afghanistan in meinem Herzen, wohin ich auch gehe.“

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